Aufarbeitung in Havanna

Gewaltsame Ausschreitungen vom 11. Juli 2021: Kuba leitet Verfahren gegen 790 Verdächtige ein. Tendenziöse Berichterstattung geht weiter. Von Volker Hermsdorf

Kuba arbeitet die gewalttätigen Ausschreitungen vom 11. Juli 2021 juristisch auf. Am Montag teilte die Generalstaatsanwaltschaft der sozialistischen Republik mit, dass in diesem Zusammenhang gegen 790 Personen Verfahren eingeleitet worden sind. Gegen die Verdächtigen werde unter anderem wegen Angriffen auf Behörden, Personen und Eigentum, Vandalismus, Plünderungen, schwerer Störungen der Ordnung und anderer Straftaten ermittelt, heißt es in der Mitteilung. Von insgesamt 117 anhängigen Verfahren werden danach bereits 110 Fälle, an denen 710 Personen beteiligt waren, vor Gerichten verhandelt.

Den Beschuldigten werden Tatbestände wie Sachbeschädigung, gewaltsamer Raub, Sabotage, Anstiftung zu Straftaten und Aufwiegelung zur Last gelegt. »Inmitten einer Pandemie, die viele Kubaner das Leben gekostet hat, und einer Verschärfung der US-Blockade« seien »öffentliche Einrichtungen, Krankenhäuser, Wechselstuben, Geschäfte und Tankstellen attackiert worden«, so der Vorwurf. Die Akteure hätten dabei das Leben von Bürgern, Beamten und Mitgliedern der Ordnungskräfte gefährdet, Verkehrsmittel beschädigt sowie Lebensmittel und andere Waren gestohlen.

Vor Gericht hätten die Täter, von denen 21 Prozent bereits vorbestraft sind, aufgrund von Aussagen zahlreicher Zeugen und Opfer sowie der Auswertung von Fotos und Videoaufnahmen identifiziert werden können, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. 69 Prozent der Angeklagten befänden sich derzeit in Untersuchungshaft, 172 Täter seien bereits verurteilt. Wie aus der Mitteilung weiter hervorgeht, sind 55 der 710 Beschuldigten, die sich bereits vor Gericht verantworten müssen, zwischen 16 und 18 Jahren alt. Für 27 Beteiligte der Tumulte, die jünger als 16 sind, wurden erzieherische Maßnahmen in Bildungseinrichtungen angeordnet.

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Kuba hatte den Beginn der Strafmündigkeit von Jugendlichen 1979 von zwölf Jahren auf 16 Jahre angehoben. In der BRD beginnt die Strafmündigkeit dagegen mit dem vollendeten 14. Lebensjahr, in den USA – je nach Bundesstaat – zwischen dem sechsten bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres, auf US-Bundesebene ab dem zehnten Lebensjahr. Im Gegensatz zu den USA entspricht Kuba damit der Forderung des UN-Ausschusses für Kinderrechte, als Mindestalter für die Strafmündigkeit ein nicht unter dem vollendeten zwölften Lebensjahr liegendes festzulegen.

Im Programm »Chapeando Bajito« von Radio Rebelde wurde die Mitteilung der Staatsanwaltschaft am Dienstag mit der Erwartung kommentiert, damit seien »die Lügen, die gegen den kubanischen Staat vorgebracht wurden, und insbesondere die von der US-Botschaft in Havanna erhobenen Anschuldigungen, dass es Minderjährige in den Gefängnissen gibt, offiziell widerlegt«. Die KP-Zeitung Granma, die am 5. August 2021 erstmals ausführlich über den Beginn der Verfahren informiert hatte, warf westlichen Medien am Montag vor, »in tendenziöser Weise Manipulationen fortzusetzen, die darauf abzielen, Kuba der Menschenrechtsverletzungen zu beschuldigen und die Strafverfahren zu delegitimieren, die eingeleitet wurden, um Vorgänge zu untersuchen, die nach den geltenden Gesetzen Verbrechen darstellen«.

Die optimistische Erwartung von Radio Rebelde wurde jedoch schon am Mittwoch enttäuscht. In einer Meldung behauptete die Nachrichtenagentur dpa wahrheitswidrig, Kubas Justiz habe am Montag »zum ersten Mal« über die Gerichtsprozesse informiert. Die aus dem Ausland organisierten Ausschreitungen vom 11. Juli bezeichnete die Agentur in der Meldung als »spontane« Proteste »für Freiheit sowie gegen Repression und Misswirtschaft«. Und obwohl zahlreiche Aufnahmen die Plünderungen, Zerstörung von Geschäften und Gewaltexzesse dokumentierten, behauptete dpa: »Auf Videos waren überwiegend friedliche Demonstrationen zu sehen.« In den USA forderten indessen die Senatoren Robert Menendez und Marco Rubio von der ehemaligen Personalchefin des Weißen Hauses und neu ernannten Exekutivdirektorin des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF), Catherine Russell, »die unverzügliche Freilassung der Kinder«, die in Kuba »wegen ihrer Beteiligung an dem Aufstand gegen die Regierung inhaftiert sind«.

Aus: Tageszeitung junge Welt, 27.01.2022

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