Ein Beispiel gegeben

Ehrung für Fidel Castro: Virtuelle Konferenz zu Leben und politischem Wirken des Revolutionärs, der am Freitag 95 geworden wäre
Von Volker Hermsdorf

Fidel Castro anlässlich seines 95. Geburtstages zu ehren, bedeute, über die Zukunft und nicht über die Vergangenheit zu sprechen. Mit diesem Hinweis leitete der Immunologe Agustín Lage Dávila, ein Begründer der Krebsforschung und Arzneimittelentwicklung in Kuba, am Freitag seinen Beitrag auf der virtuellen Konferenz »Fidel, ein Mann der Wissenschaft mit einer Vision für die Zukunft« ein. Das von progressiven Parteien und Organisationen 1990 gegründete »Forum von São Paulo« und die Kommunistische Partei Kubas hatten dazu Intellektuelle, Wissenschaftler und Politiker aus Lateinamerika und Europa eingeladen.

Bildungsoffensive

Ein Jahr nach dem Sieg der kubanischen Rebellenarmee über den Diktator Fulgencio Batista habe deren Anführer Fidel Castro bereits 1960 auf die Bedeutung von Bildung, Wissenschaft und Forschung für die Zukunft Kubas hingewiesen, einem Land, das zu dieser Zeit eine hohe Rate von Analphabeten aufwies, erinnerte Agustín Lage. Eine der ersten und fast unglaublichen Leistungen der jungen Revolution war die von Fidel vorangetriebene Alphabetisierung des Landes in nur einem Jahr, ergänzte der ehemalige Kulturminister Abel Prieto Jiménez. Damit habe der Revolutionsführer die Voraussetzung für den Aufbau eines von kolonialistischen Einflüssen, imperialistischer Unterdrückung und kapitalistischer Ausbeutung befreiten souveränen Staates geschaffen. Erst dadurch, erklärten Wissenschaftler und Mediziner in ihren Beiträgen, sei der spätere Aufbau der auf Initiative Fidel Castros gegründeten Forschungs- und Produktionszentren wie das Zentrum für Gentechnik und Biotechnologie (1986), das Finlay-Insti­tut zur Impfstoffentwicklung (1991), das Zentrum für Molekulare Immunologie (1994) und Biocubafarma (2012) möglich geworden. Derartigen Einrichtungen habe Kuba den Aufstieg von einem einst unterentwickelten zu einem der weltweit führenden Länder in der medizinischen Forschung, Entwicklung und Versorgung zu verdanken. Auch deswegen sei Kuba – trotz der seit mehr als 60 Jahren bestehenden US-Blockade – als einziges Land Lateinamerikas in der Lage gewesen, eigene Covid-19-Impfstoffe zu entwickeln und zu produzieren.

Die von Castro initiierte Gründung der Lateinamerikanischen Hochschule für Medizin (1999) und des »Internationalen Kontingentes Henry ­Reeve« für den Einsatz bei Katastrophen und Epidemien (2005) stünden für die Unterstützung der Länder des globalen Südens und den Internationalismus, wofür Kuba und Fidel weltweit geachtet würden. Er selbst sei ein »Produkt des Wirkens von Fidel«, denn er entstamme einer einfachen Familie aus einem armen Stadtteil und könne jetzt, dank des kubanischen Bildungssystems daran mitwirken, »dass wir in der Pandemie nicht mit leeren Händen dastehen«, sagte der Direktor des Finlay Instituts, Vicente Vérez Bencomo. Die Mitbegründerin des Henry-Reeve-Kontingents, Marcy Calderón Martínez, sagte, sie sei stolz auf die 57 Brigaden, die bereits mehr als 40 Ländern bei der Behandlung von Covid-19-Patienten geholfen haben. Neben diesen Spezialisten hätten bis heute 450.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens Einsätze in 164 Ländern durchgeführt, erklärte die Ärztin.

Wissen und Werte

Kubas Präsident Miguel Díaz-­Canel unterstrich, dass »Humanismus, Intelligenz, Kreativität und Hartnäckigkeit« Fidel Castros und dessen Vision von der Bedeutung der Wissenschaft für die Insel Gründe dafür sind, dass die Errungenschaften der Kubanischen Revolution trotz der »kolossalen Herausforderungen durch die US-Blockade« bis heute bewahrt werden konnten. »Sie sind die Frucht eines anderen politischen Systems und eines emanzipatorischen und avantgardistischen humanistischen Denkens, das den Menschen über den Profit stellt«, sagte Díaz-Canel. Auf eine von Washington initiierte Kampagne gegen angebliche staatliche Einschränkungen des Internets und auf Castros Engagement für die Entwicklung moderner Informationstechnologie in der Inselrepublik war Außenminister Bruno Rodríguez bereits zu Beginn der virtuellen Veranstaltung eingegangen. Er betonte, dass Fidel Wert darauf gelegt habe, »den universellen Zugang zu Informations- und Kommunikationsnetzen mit der Entwicklung des kritischen Denkens in der Gesellschaft zu verbinden«. Rodríguez zitierte den Revolutionsführer mit dem Satz: »Ideen entstehen aus Wissen und ethischen Werten. Ein Teil davon lässt sich technologisch lösen, der andere Teil muss unerbittlich kultiviert werden, sonst gewinnen die primitivsten Instinkte die Oberhand.«

Intellektuelle und Politiker anderer Länder setzten weitere Akzente. Der spanisch-französische Journalist und Castro-Biograph Ignacio Ramonet bezeichnete »Humanismus, Ethik, Strategie, Vision und einen als Erhalt der Souveränität verstandenen Patriotismus« als herausragende Eigenschaften des Gewürdigten. Der brasilianische Dominikanermönch und Befreiungstheologe Frei Betto dankte Fidel Castro dafür, dass er »etwas erobert und damit ein Beispiel gegeben« habe, »was kein anderes Land auf unserem Kontinent erreicht hat, nämlich Souveränität und Unabhängigkeit vom US-Imperium«. Wie Vertreter anderer lateinamerikanischer Staaten lobte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro die Rolle und das Beispiel Castros als Wegbereiter eines öffentlichen Gesundheits- und Bildungssystems, das auch andere Länder der Region positiv beeinflusst habe. Castro habe außerdem als einer der ersten Staatsmänner bereits 1992 vor dem Klimawandel gewarnt. »Heute sehen wir die Folgen der von Kapitalinteressen verursachten Umweltzerstörung, die Feuer, die Überschwemmungen, die Dürre und die Trockenheit in immer mehr Teilen der Welt«, sagte Maduro.

Hintergrund: Fidel Castro (1926–2016)

Mit dem deutschen Revolutionär Karl Liebknecht und mit Tómas Borge, dem Guerillero und Mitbegründer der Sandinistischen Befreiungsfront in Nicaragua, verbindet Revolutionsführer Fidel Castro der Geburtstag am 13. August wie auch die Vision von einer sozial gerechteren Welt. Dem 1926 geborenen späteren Comandante en Jefe ist es allerdings am nachhaltigsten gelungen, sein Land, den Kontinent und die Welt zu verändern. Deshalb wird er von Gegnern bis über seinen Tod am 25. November 2016 hinaus ebenso gehasst und dämonisiert wie von progressiven Menschen in aller Welt geachtet. In Lateinamerika steht Castro in einer Reihe mit den Unabhängigkeitskämpfern Simón Bolívar und José Martí.

»Fidel Castro war eine der außergewöhnlichsten Persönlichkeiten des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts«, stellte der argentinische Schriftsteller Atilio Borón auf dem virtuellen Forum zu dessen 95. Geburtstag fest. Nach Ansicht des politischen Analytikers braucht Castro, im Gegensatz zu rechten Machthabern des Westens, weder Denkmäler noch nach ihm benannte Straßen oder Plätze, damit sich die Menschen an ihn erinnern. »Sein Name und Wirken ist fest im Gedächtnis der kubanischen und lateinamerikanischen Bevölkerung verankert. Mit seiner quixotischen Leidenschaft, unmögliche Träume zu verwirklichen, kämpfte er gegen unbesiegbare Feinde. Er wird weiterhin in den Kämpfen für die Beseitigung des Kapitalismus präsent sein«, sagte der argentinische Autor voraus.

Mit dem Sturm auf die Moncada-Kaserne, der Überfahrt mit der Yacht »Granma« aus dem Exil, dem Kampf der von ihm geführten Guerilla gegen die zahlenmäßig überlegene Batista-Armee, den Sieg über die CIA-Invasoren in der Schweinebucht, die Verteidigung des Sozialismus in Kuba nach dem Untergang der Sowjetunion und deren osteuropäischer Verbündeter sowie dem Widerstand gegen Terror und die seit 60 Jahren über sein Land verhängte Blockade der USA hat Fidel Castro viele Beispiele dafür geliefert, dass auch ein scheinbar aussichtsloser Kampf für sozialen Fortschritt gewonnen werden kann. (vh)

Aus: jW-Ausgabe vom 16.08.2021

Diese Website benutzt Cookies. Wenn Sie die Website weiter nutzen, gehen wir von Ihrem Einverständnis aus. Datenschutzerklärung