Über die Lage in der sozialistischen Inselrepublik, die Auswirkungen der US-Blockade und den Kampf gegen die Pandemie. Gespräch mit Heinz Bierbaum. Interview: Volker Hermsdorf
Als Leiter einer Delegation der Partei der Europäischen Linken, EL, sind Sie im Februar zu Gesprächen nach Kuba gereist. Welche Zielsetzung hatte der Besuch?
Die Zielsetzung war eine doppelte. Zum einen wollten wir in einer für Kuba außerordentlich schwierigen Zeit unsere Solidarität mit dem kubanischen Volk ausdrücken. Zum anderen wollten wir erfahren, wie die Lage in dem Land aussieht und welche Politik verfolgt wird.
Vor Ihrer Abreise gab es ein Problem, weil das Reisebüro des Europäischen Parlaments sich weigerte, die Reise von EU-Abgeordneten nach Kuba zu buchen. Wie kann es sein, dass ein Dienstleister entscheidet, wohin gewählte Abgeordnete reisen dürfen?
Das war mir bisher so nicht bekannt. Es ist ganz unmöglich, dass das Reisebüro als Dienstleister politische Entscheidungen trifft. Der Fall zeigt aber, wie weit die Blockade gegen Kuba mittlerweile auch in der EU schon reicht.
Wie haben Sie die derzeitige Lage in Kuba nach Ihrer Ankunft wahrgenommen?
Dass die Lage schwierig ist, wussten wir ja schon vorher. Aber eine Situation der Verelendung, wie zum Teil gemeldet wurde, konnten wir so nicht feststellen. Kein Zweifel besteht jedoch daran, dass die wirtschaftliche und soziale Lage in Kuba außerordentlich prekär ist. Die Bevölkerung leidet insbesondere unter der hohen Inflation. Sie beträgt gegenwärtig rund 70 Prozent. Aber die ökonomische Entwicklung in Kuba ist auch darüber hinaus schwach. Durch die hohe Inflation reichen die erhöhten Löhne und Gehälter oft nicht aus. Zunehmend mehr Kubanerinnen und Kubaner sind auf die staatliche Lebensmittelzuteilung über die »Libretas« angewiesen. Auch wenn die Lage sehr schwierig ist, so ist sie doch nicht mit der Sonderperiode, der »Período especial« in den 1990er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, zu vergleichen.
Worauf führen Sie die aktuellen Probleme zurück?
Für die prekäre Lage ist zu einem großen Teil die seit nunmehr 60 Jahren andauernde Blockade Kubas durch die USA verantwortlich, die unter US-Präsident Donald Trump mit zahlreichen weiteren Einzelmaßnahmen verschärft worden ist. Sein Amtsnachfolger Biden hat daran nichts geändert. Diese Blockade behindert die ökonomische und soziale Entwicklung in jeder Hinsicht und reicht weit in das Alltagsleben hinein.
Freilich gibt es auch eigene Defizite. So ist die hohe Inflation nicht allein auf die Blockade zurückzuführen, sondern ist auch dem Umstand geschuldet, dass in Kuba selbst zu wenig produziert wird, so dass die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt. Lebensmittel werden zu 70 Prozent importiert. Die Landwirtschaft stellt nach wie vor die Achillesverse der kubanischen Wirtschaft dar. Daran hat sich auch durch die von der Regierung unternommenen Initiativen wenig geändert. Zwar gibt es einige Zonen wie z. B. die Region Pinar del Río, die wir besucht haben, mit ausgeprägter Landwirtschaft – wobei dort vor allem Tabak angebaut wird. Doch große Teile der Flächen in Kuba liegen brach.
Bereits vor der Coronapandemie war die ökonomische Entwicklung schwach, die Wachstumsziele wurden nicht erreicht. Diese Situation hat sich während der Pandemie weiter verschlimmert, insbesondere auch dadurch, dass der Tourismus, der einen wesentlichen wirtschaftlichen Faktor darstellt, eingebrochen ist.
Wodurch könnte sich die wirtschaftliche Situation und die Lage der Bevölkerung verbessern?
Die wirtschaftliche und soziale Situation wäre sofort eine andere, wenn die Blockade aufgehoben würde. Dies ist jedoch gegenwärtig nicht absehbar. Um die Lage zu verbessern, bemüht sich die kubanische Regierung unter dem seit Oktober 2019 im Amt befindlichen Präsidenten Miguel Díaz-Canel, die Wirtschaft durch Reformen anzukurbeln. Kern ist die Zulassung privater kleiner und mittlerer Unternehmen, womit der Bereich der schon zuvor eingeführten »Cuentapropistas«, also der auf eigene Rechnung Arbeitenden, ausgeweitet wird. Diese Öffnung ist durch die neue Verfassung, die im April 2019 in Kraft trat, abgesichert. Eine besondere Förderung erfahren auch die Genossenschaften. Allerdings sind die Entwicklungsmöglichkeiten infolge der Öffnung begrenzt. Entscheidend wird sein, inwieweit die die Wirtschaft weiterhin dominierenden staatlichen Unternehmen (»Empresas estatales socialistas«, jW) in der Lage sein werden, ihre Produktivität zu steigern.
Ein weiteres wichtiges Element sind Sonderwirtschaftszonen, wie die in Mariel, die wir besucht haben. Damit soll einerseits die Importabhängigkeit gemildert, andererseits sollen die Exporte befördert werden. Projekte für Hochtechnologie, insbesondere im Bereich der Biotechnologie sollen dort initiiert werden. Ziel ist auch, damit mehr Beschäftigung zu schaffen. Die dortigen Unternehmen erhalten starke Steuervergünstigungen. Die Sonderwirtschaftszone ist im Gegensatz zu sonst üblichen Formen nicht völlig frei, sondern unterliegt staatlicher Kontrolle. So gilt auch hier das kubanische Arbeitsgesetz. Dennoch ist klar, dass die kubanische Wirtschaft auf Investitionen ausländischer Unternehmen angewiesen ist.
Dabei muss man auch wissen, dass es Befürchtungen gibt, durch die Ausweitung des privaten Sektors könne es zu einer wachsenden sozialen Ungleichheit kommen. Dies ist nicht sicher auszuschließen. Doch ist der private Sektor sehr beschränkt. Und ich bin zu der Auffassung gelangt, dass diese Öffnung notwendig ist.
Welche Einrichtungen haben Sie besuchen können?
Wir haben das erst vor kurzer Zeit eröffnete Centro Fidel Castro Ruz besucht. Dort bekommt man nicht nur einen sehr informativen Überblick über das Leben Fidel Castros, sondern auch über die Kubanische Revolution. Fidel Castro selbst wollte ja nicht, dass von ihm Statuen aufgestellt oder Straßen oder Plätze nach ihm benannt werden. Auch das Memorial »José Martí« stand auf unserer Liste. Besucht haben wir außerdem auch das Institut für Völkerfreundschaft (Instituto Cubano de Amistad con los Pueblos, jW) sowie den Frauenverband (Federación de Mujeres Cubanas, jW).
Besonders bemerkenswert war der Besuch des Instituts »Finlay« zur Erforschung von Impfstoffen. Dort konnten wir uns über die Coronasituation in Kuba, über die Entwicklung des kubanischen Impfstoffes und die Impfstrategie informieren. Trotz der äußerst schwierigen Bedingungen ist es Kuba gelungen, besser als andere Länder mit der Pandemie umzugehen und sie weitgehend hinter sich zu lassen. Nach einem harten Lockdown hat sich die Lage erheblich verbessert. Dies ist vor allem der Entwicklung eigener Impfstoffe zu verdanken. Hier hat Kuba erstaunliche Leistungen vorzuweisen. So gelang es, ein hochwirksames Vakzin zu entwickeln, mit dem auch Kinder erfolgreich geimpft wurden. Inzwischen sind deutlich über 90 Prozent der Kubanerinnen und Kubaner geimpft. Die Zahl der mit Corona Infizierten ist sehr niedrig und auch die der Todesfälle ist gegenwärtig äußerst gering. Die Impfstoffe sind in Kuba ein öffentliches Gut. Man arbeitet auf diesem Gebiet trotz der Beschränkungen durch die Blockade international mit Instituten sowohl in Europa als auch in den USA zusammen. Bemerkenswert ist weiter, dass man sich der internationalen Solidarität verpflichtet fühlt und die in Kuba entwickelten Impfstoffe global zur Verfügung gestellt werden sollen. Das wiederum versuchen die großen Pharmakonzerne zu verhindern.
Worum ging es bei Ihren Treffen mit Politikern und Gewerkschaftern?
Wir sprachen mit der Abteilung für Internationale Beziehungen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kubas (PCC, jW), mit dem Generalsekretär Ulises Guilarte de Nacimiento des kubanischen Gewerkschaftsdachverbandes CTC sowie mit Vertretern im kubanischen Außenministerium (Minrex, jW). Zudem hatten wir einen Empfang beim Staatspräsidenten Díaz-Canel.
Mit der Abteilung für Internationale Beziehungen unter der Leitung von Ángel Arzuaga Reyes hatten wir einen Austausch über die wirtschaftliche, soziale und politische Lage in Kuba und Europa. Dabei ging es vor allem um die Blockade Kubas und ihre verheerenden Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensverhältnisse und um mögliche Unterstützungen durch die Linke in Europa. Thema war auch die internationale Lage, die beiderseits als von zunehmenden Spannungen geprägt charakterisiert wurde. Im Gespräch mit Carlos Fernández de Cossío, Vizeminister von Minrex, ging es um das schwierige Verhältnis zu den USA, wo gegenwärtig kaum eine Änderung absehbar ist. In einer sehr offenen Atmosphäre wurden gleiche Themen auch mit dem Staatspräsidenten Díaz-Canel besprochen, der sich im übrigen für die Unterstützung durch die europäische und auch die deutsche Linke bedankte.
Im Gespräch mit dem Gewerkschaftsbund CTC waren vor allem Fragen der gewerkschaftlichen Organisation und die wirtschaftliche Lage Thema. 90 Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Eine für die Gewerkschaften neue Herausforderung stellt die Organisierung von Mitgliedern im privatwirtschaftlichen Sektor dar. Die kubanischen Gewerkschaften sind mit autonomen Gewerkschaften, wie wir sie verstehen, nicht vergleichbar. Sie verstehen sich als Organisationen, die politisch mitgestalten und dafür auch entsprechende Rechte haben. Darin sehen sie selbst einen wesentlichen Unterschied zu den Gewerkschaften in kapitalistischen Ländern.
Zum Zeitpunkt Ihres Besuches zeichnete sich die Verschärfung des Ukraine-Konfliktes bereits ab. Hat dieses Thema auch eine Rolle gespielt?
Die Situation in der Ukraine war Thema, hat aber keine besondere Rolle gespielt. Darüber wurde im Zusammenhang mit den zunehmenden globalen Spannungen gesprochen. Unsererseits wurde die wachsende Kriegsgefahr hervorgehoben und auf die russische Truppenkonzentration an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine hingewiesen, aber auch die Expansion der NATO nach Osten kritisiert.
Im Europäischen Parlament wurden in den vergangenen Monaten mehrere Resolutionen eingebracht, in denen Kuba verurteilt wird. Wer waren die Urheber, und was wollen sie erreichen?
Die Resolutionen im Europaparlament, die wesentlich von der Rechten ausgingen, wurden von uns scharf kritisiert. Die Urheber hatten unter anderem EU-Sanktionen gefordert, die im Sinne der US-Blockade wären. Wir haben in den Gesprächen auch darauf hingewiesen, dass sich die Linke im Europaparlament davon distanziert hat. Unsererseits wurde weiterhin betont, dass wir dafür eintreten, dass die EU eine außenpolitisch unabhängigere Rolle spielen soll und auch ihr Verhältnis zu Kuba normalisieren und ausbauen sollte.
Besteht die Gefahr, dass das Verhältnis der EU zu Kuba sich erneut verschlechtert?
Es steht angesichts des Krieges in der Ukraine und der durch nichts zu rechtfertigenden Invasion Russlands zu befürchten, dass sich das Verhältnis der EU zu Kuba wieder verschlechtert. Die Enthaltung Kubas in dieser Frage wird sicherlich zum Anlass genommen, Kuba als Putin-Freund zu diffamieren.
Wie würden Sie die Ergebnisse Ihrer Reise abschließend beschreiben? Gibt es gemeinsame Verabredungen?
Die Reise war sehr informativ. Man kam überein, es nicht bei einem einwöchigen Besuch zu belassen, sondern zu einer kontinuierlichen Kooperation zu kommen. Es wurden konkrete Vereinbarungen getroffen. Dies betrifft den gemeinsamen Einsatz für den Frieden, was in der gegenwärtigen Situation allerdings alles andere als einfach sein wird. Das bezieht sich weiter auf das große Thema der sozialökologischen Transformation. Auch im Hinblick auf die Kampagnen zu einem universellen Zugang zu den Impfstoffen soll zusammengearbeitet werden, wobei an die europäische Kampagne »No Profit on Pandemic« angeknüpft werden kann. Es geht um konkrete Solidaritätsprojekte und in diesem Zusammenhang auch um die Verbreitung von Informationen über die Entwicklung in Kuba. Die Kooperation auf der internationalen Ebene auch mit dem Foro de São Paulo (das linke Forum wurde 1990 als Reaktion auf den Zusammenbruch der Sowjetunion und die neoliberale Offensive in Lateinamerika etabliert, jW) und dem von der Partei der Europäischen Linken zusammen mit anderen progressiven und ökologischen Kräften organisierten Europäischen Forum soll verstärkt werden.
Vor welchen Herausforderungen steht die europäische Solidaritätsbewegung aus Ihrer Sicht?
Praktische Solidarität mit Kuba und seiner Bevölkerung ist mehr denn je notwendig. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die von den USA verhängte Blockade. Es muss alles getan werden, dass diese aufgehoben wird. Nur dann ist eine wirklich eigenständige Entwicklung möglich. Dafür muss sich die Linke in Europa einsetzen. Überlegenswert wäre auch ein Tribunal, um auf die konkreten Folgen der Blockade für Entwicklung und das Alltagsleben in Kuba aufmerksam zu machen. Ein solches Tribunal müsste allerdings politisch breit besetzt werden. Solidarität schließt dabei die kritische Auseinandersetzung mit der Politik Kubas nicht aus. Ganz im Gegenteil. Wichtig ist jedoch, dass man über authentische Informationen verfügt und sich mit der realen Entwicklung befasst.
Heinz Bierbaum (Jahrgang 1946) ist Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL). Er war Mitglied des Parteivorstandes und Vorsitzender der Internationalen Kommission der Partei Die Linke sowie Landtagsabgeordneter im Saarland.