Kuba bekämpft weiterhin erfolgreich Pandemie und versucht, US-Blockade zu trotzen. Krieg in Ukraine erschwert wirtschaftliche Erholung. Von Volker Hermsdorf, Havanna
Nach gefühlt viel zu vielen Monaten pandemiebedingter Kuba-Abstinenz sind wir in der letzten Märzwoche endlich wieder auf dem Internationalen Flughafen José Martí von Havanna gelandet. Obwohl zwei Flugzeuge mit Hunderten kubanischen Helfern aus Mexiko und Venezuela vor uns abgefertigt werden, sind die Einreiseformalitäten schnell erledigt. Da wir im Internet vorab die »Información Adelantada del Viajero« mit allen persönlichen Daten zum Reisepass, PCR-Test und Impfstatus ausgefüllt hatten, werden wir nach dem Scan des QR-Codes durch eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes zur Passkontrolle durchgewunken. Der erste Eindruck auf der Fahrt ins Zentrum ähnelt etwas dem vor dem Abflug aus der BRD. Die Straßen sind deutlich leerer als früher, wegen der Inflation ist das Autofahren zum teuren Luxus geworden, und zudem gibt es häufig kein Benzin, erzählt der Taxifahrer.
Im Zentrum des Stadtteils Vedado angekommen, erinnert dann nichts mehr an die derzeitige Situation in der BRD. In den Straßen – und in Innenräumen sowieso – tragen nahezu alle trotz sommerlicher Temperaturen von knapp 30 Grad ganz selbstverständlich ihr »Nasobuco«, wie die Gesichtsmasken hier genannt werden. Auch Schul- und Kitakinder schützen sich und andere mit ihren etwas kleineren Masken, die sie offenbar weder beim Spielen noch beim Lernen stören. Zu Beginn der Pandemie habe es vereinzelt noch Leute gegeben, die gegen die Maskenpflicht protestiert hätten, doch mittlerweile habe sich die Einsicht durchgesetzt, »dass es zu unser aller Nutzen ist, wenn wir weiter vorsichtig sind, denn die Pandemie ist ja noch nicht vorbei«, sagt die Verkäuferin einer Parfümerie am Prado. Möglicherweise hat dazu auch das Bußgeld von 2.000 Peso (rund 68 Euro) beigetragen, das denen droht, die ohne Maske herumlaufen.
Insgesamt überwiegt die Zustimmung zur strikten Coronapolitik der Regierung, wohl auch, weil der Erfolg erkennbar ist. In der letzten Märzwoche lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Kuba durchweg bei 50 oder darunter, und seit Tagen war kein einziger Patient mehr an oder mit einer Covid- 19-Infektion verstorben. Zur selben Zeit lag die Inzidenz in der BRD bei über 1.660, und allein am 30. März verstarben laut Robert-Koch-Institut 348 Menschen an oder mit dem Virus. Das seit über 60 Jahren von den USA mit einer Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade belegte Kuba hat es geschafft, eigene hochwirksame Impfstoffe zu entwickeln. Ende März waren hier 93,9Prozent der Bevölkerung mindestens einmal und 87,6 Prozent vollständig geimpft. Drei Tage nach unserer Ankunft meldete sich ein Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und erkundigte sich freundlich nach unserem Wohlbefinden.
Erinnerung an Sonderperiode
Während die Pandemie derzeit in Kuba relativ gut in Schach gehalten wird, ist die wirtschaftliche Situation so schwierig, wie seit der sogenannten Sonderperiode zu Beginn der 1990er Jahre nicht mehr. Die von US-Präsident Donald Trump und dessen Nachfolger Joseph Biden inmitten der Pandemie mehrfach verschärfte Blockade zeigt überall ihre destruktive Wirkung. Auch dank der Hilfe aus China, Russland, Venezuela und anderen Ländern ist es Washington zwar nicht gelungen, die kubanische Wirtschaft zu »strangulieren«, wie Vertreter der US-Regierung angekündigt hatten, doch sind die Folgen insbesondere für ärmere Bevölkerungsschichten trotzdem grausam. In den vergangenen Tagen gab es vor staatlichen Abgabestellen, in denen Hähnchenfleisch zu subventionierten Preisen verkauft wurde, Warteschlangen, die teilweise über mehrere Querstraßen reichten. Wer sich dort nach einem normalen Arbeitstag einreiht, hat keine Chance. Das nutzen die »Coleros« aus, das sind professionelle Ansteher, die ihren Platz meistbietend verkaufen. Eine andere Plage sind skrupellose »Revendedores« (Wiederverkäufer), die Lebensmittel und andere Waren für ein Vielfaches des Ladenpreises an diejenigen weiterverkaufen, die beim Schlangestehen leer ausgegangen sind oder keinen Zugang zu Devisen haben.
Obwohl es in Kuba seit der Währungszusammenführung offiziell nur noch eine Währung, den Peso Cubano (CUP), gibt, werden viele Waren nur in Devisengeschäften und für »frei konvertierbare Währungen« (Moneda Libremente Convertible) verkauft, also für Euro, Franken, britische Pfund oder kanadische Dollar. Wiederverkäufer und Leute, die ins Ausland reisen oder emigrieren wollen, bieten kubanische Pesos auf dem Schwarzmarkt zu Wechselkursen an, die etwa viermal so hoch sind wie der offizielle Kurs. Das heizt die Inflation weiter an, nützt einigen wenigen Profiteuren und schadet dem Großteil der arbeitenden oder pensionierten Bevölkerung. Zwar geht es ärmeren Kubanerinnen und Kubanern auch in dieser schwierigen Lage noch immer besser als vielen armen Menschen in den Nachbarländern. Niemand verhungert, hat Angst, die Miete nicht mehr zahlen zu können oder bei Krankheit endgültig in den finanziellen Ruin getrieben zu werden, doch die soziale Ungleichheit hat in den vergangenen Jahren weiter zugenommen.
Während Restaurants und Bars der Hotels in Havanna und Reisebüros voll von »Coleros«, »Revendedores«, »Devisenschiebern« oder auch nur Kubanerinnen und Kubanern sind, die von Angehörigen aus dem Ausland mit Devisen unterstützt werden, können hart arbeitende Normalverdiener von einem Eis, einem Kaffee oder einem Bier in diesen Lokalitäten, ganz zu schweigen von einer Reise in die Urlaubsstadt Varadero oder auf die Kubanischen Inseln (Cayos) nur träumen. Immerhin werden dadurch – das ist die positive Seite der Medaille – vermutlich Tausende Arbeitsplätze in der Gastronomie und Touristikbranche gesichert. Trotzdem sagt eine Angestellte im Hotel Telégrafo am Parque Central in der Altstadt: »Mir fehlt unser Comandante en Jefe, der soziale Ungleichheit nicht zugelassen hätte.«
Wichtigeres als Waffen
Neben hausgemachten Problemen zeigt auch der Krieg in der Ukraine in Kuba erste Auswirkungen. Seit Tagen gibt es kein Mehl, kaum noch Brot und Gebäck. Eine Touristikmanagerin berichtet, dass viele ihrer Kolleginnen und Kollegen durch die gegen Russland verhängten Sanktionen ihre Jobs verloren haben. »Zigtausende russische Touristen, die Reisen nach Kuba gebucht hatten, mussten stornieren, weil den Fluglinien Überflugrechte verweigert werden«, sagt sie. Derzeit gebe es zwar Überlegungen, Touristen aus Russland, deren Reisefreiheit von den USA und der EU total eingeschränkt und weitgehend unterbunden wird, Ausweichrouten etwa über China oder andere asiatische Länder anzubieten, doch sei dies teurer und verlängere die Reisezeit. Außerdem hätten asiatische Fluglinien derzeit keine ausreichenden Kapazitäten und Slots, erklärt die Expertin. Auch die bei einem Besuch von Russlands Vizepremierminister Juri Borissow am 18. Februar in Havanna vereinbarten Kooperationen im medizinischen und wirtschaftlichen Bereich sind gefährdet. Präsident Wladimir Putin hatte Anfang des Jahres seinen Amtskollegen Miguel Díaz-Canel (Kuba), Nicolás Maduro (Venezuela) und Daniel Ortega (Nicaragua) Unterstützung beim Kampf gegen die Pandemie und zur Abmilderung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zugesagt, die durch US-Sanktionen in diesen Ländern verursacht werden.
Russland und Putin gelten hier nicht als nationale Feindbilder. Als Journalist schätze ich es – nach dem Verbot russischer Medien in der BRD und der EU – ganz besonders, dass es in Kuba keine Informationsblockade gibt und ich mich aus Originalquellen über die Positionen Russlands authentisch informieren kann. Hier sind RT, Sputnik und andere Medien – wie auch diejenigen aus den USA, der BRD und anderen Ländern, die Kiews Position verbreiten – ohne Probleme zu empfangen. Kuba wird damit dem journalistischen Prinzip »Man soll sie hören alle beede« gerecht, das in der EU missachtet wird.
Trotz aller unbestreitbaren Probleme unterscheidet sich die Lage in Havanna Anfang April 2022 positiv. Denn die Regierung Kubas investiert nicht in Aufrüstung, US-Bomber und anderes mörderisches Kriegsgerät, sondern in den Gesundheitsschutz und versucht, die Folgen der Blockade zu minimieren, mit der Washington die Bevölkerung der Insel seit mehr als 60 Jahren in Armut, Not und Elend stürzen will.