Suche nach Souveränität: Emanzipation in Lateinamerika schreitet weiter voran. USA und Rechte lassen nicht ab

Beilage “Unser Amerika” in der Tageszeitung junge Welt erschienen

Foto: Ivett Polyak-Bar Am/junge Welt

Lateinamerika steht seit jeher im Visier des US-Imperialismus – und mit jeder neuen Regierung, die auch nur ansatzweise progressiv oder links daherkommt, wird alles in Bewegung gesetzt, das zu ändern. In Erinnerung kommt da in diesem Jahr zunächst Chile ’73 und die faschistische Niederschlagung des sozialistischen Projekts unter Salvador Allende. Der Militärputsch, der eine brutale 17 Jahre währende Diktatur unter General Augusto Pinochet einleitete, jährt sich zum 50. Mal. Der Historiker Carlos Gomes bringt passend dazu – gemeinsam mit dem Verlag 8. Mai – sein Buch »Chile 1973. Denkmäler und Wandbilder in DDR und BRD« heraus. Im Gespräch erzählt er von manch verzweifelter Suche nach Objekten, die scheinbar niemanden mehr interessieren, und kann stolz behaupten: »Da ist etwas in Gang gekommen.« Vor »Attacken nach Drehbuch« muss sich auch der seit vergangenem Jahr amtierende linke Präsident Kolumbiens in acht nehmen, wie Frederic Schnatterer in seinem Text beleuchtet. Warnungen werden laut vor einem »sanften Putsch«, da die Rechte des Landes sich nach anfänglicher Defensive wieder berappelt hat und alles auf eine Karte setzt.

In Brasilien hat der linke Präsident Luiz Inácio Lula da Silva nach seinem Sieg gegen die faschistische Rechte um Jair Bolsonaro einiges an Vorschusslorbeeren eingeheimst. Außenpolitisch agiert er souverän und stärkt die unabhängige Linie des globalen Südens gegen das westliche Wunschkonzert vor allem in bezug auf den ­Ukraine-Krieg. Die »Abkehr vom Westen« wird auch von der New Development Bank vorangetrieben, wie Jörg Kronauer in seinem Artikel beschreibt. Das Finanzinstitut der BRICS-Staaten steht seit April unter der Führung von Dilma Rousseff, einst Nachfolgerin Lulas an der Spitze Brasiliens. Und die Herausforderungen sind nicht klein: Spannungen zwischen den Mitgliedern China und Indien sowie die westlichen Sanktionen gegen Russland. Aber neue Mitglieder stehen Schlange. Beim Schutz des Regenwaldes sind ebenfalls Herausforderungen zu meistern, die Lula nach Ansicht von Norbert Suchanek, einen »Erfolg mit Beigeschmack« bescheren. Denn auch wenn illegal weniger abgeholzt wird, ist die Agrarlobby mächtig und lässt legal ordentlich weiterroden.

Stabilität lieferte in den vergangenen Jahrzehnten die Achse »Moskau–Havanna«. Volker Hermsdorf lässt die Geschichte, die zunächst zwischen der Sowjetunion und Kuba nach der Revolution begann, Revue passieren und konstatiert, dass die verschärften westlichen Strafmaßnahmen gegen beide Länder diese nur noch fester zusammengeschweißt haben. Russland wird auch im Falle ­Haitis adressiert. Denn es gilt, die nächste »Intervention (zu) verhindern«, die von seiten ­Washingtons vorangetrieben wird – und Moskau und ­Beijing sollen, einem Aufruf der Black Alliance for Peace folgend, bei einer potentiellen Abstimmung im UN-Sicherheitsrat ihr Veto zugunsten der haitianischen Bevölkerung einsetzen. Stabil ist auch weiterhin das Vermächtnis des früheren venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Julieta Daza berichtet aus Caracas von einem von seinen Reden inspirierten Projekt, um »Würdevoll Wohnen« zu können. In die Hand nehmen das mehrheitlich Frauen von der Basisorganisation »Ökosozialistische Revolutionäre Infanterie für Lebensraum und Wohnen« – und sie haben Erfolg.

Das gilt auch für den internationalen Drogenhandel, wie Marius Weichler in seinem Text »Kokain für die Welt« am Beispiel Ecuadors darstellt. Im Exportland des weißen Pulvers aus Kolumbien, das nach Europa und in die USA geht, ereignen sich Gewaltexzesse in diesem Zusammenhang in immer kürzeren Abständen. Noch regiert die Rechte mit einem Law-and-Order-Ansatz, die Linke will demgegenüber im Wahlkampf dem ausufernden Problem mit der (Wieder-)Einführung von Sozialprogrammen begegnen. In Guatemala wiederum ist die größte Misere, dass Arbeit »Für eine Handvoll Quetzal« für den Großteil der Menschen nur im sogenannten informellen Sektor möglich ist. Dramatisch vor allem: Rund eine Million Kinder zwischen fünf und 17 müssen ebenfalls schuften, um die Armut in ihren Familien erträglicher zu machen. Für Bildung reicht es da nur selten.

Quelle: Beilage “Unser Amerika” der Tageszeitung junge Welt vom 26.07.2023

Alle Beiträge der jW-Beilage “Unser Amerika” online unter www.jungewelt.de

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